Fahrlehrerlobby II

 

Die unendliche Geschichte geht weiter. Nachdem ich auf den Artikel „Fahrlehrerlobby“ einige feindliche Mails ohne sachliche Argumentation dagegen aber viel Zustimmung und Bedauern erhalten habe, geht’s jetzt weiter mit dem Deutschen „Dummheits-Gen“.

Oftmals am Stammtisch und manchmal auf Treffen wird über die verschiedenartigste Gestaltung der europäischen Staaten bzgl. der Führerscheinregelungen diskutiert. Mitte Oktober 2005 machte ein Zeitungsartikel die Runde, aus dem zu entnehmen war, dass der Führerschein in Belgien 75 Euro koste. In Deutschland zahle ich dagegen pro Klasse 800 bis 1000 Euro im günstigen Durchschnitt. Gleichzeitig wurde ich mehrfach damit konfrontiert, dass Deutschland sogar noch Strafe an die EU zahlen solle, damit die Deutschen auch nicht so viel dürfen wie die europäischen nichtdeutschen Bürger.

 

Auch wenn ich den regierenden Politikern in Deutschland viel zutraue, dies aber dann doch nicht. Also machte ich mich auf den Weg, meinen regionalen Europaabgeordneten Bernhard Rapkay zu konsultieren. Emotionsgeladen und neugierig nahm ich Kontakt mit ihm auf und konnte ihn schon nach kurzer Zeit in seinem Büro in Dortmund besuchen.

 

Bernhard Rapkay ging das Thema sehr sachlich an, unterband dabei aber nicht emotionale Eindrücke. Ich versuche, den von ihm geschilderten Sachverhalt bzgl. der Gesetzgebung einmal wieder zu geben:

 

Das Europäische Parlament erlässt mit Zustimmung des Europäischen Rates Richtlinien. Diese Richtlinien enthalten verbindliche Regelungen, die von den Mitgliedstaaten innerhalb bestimmter Übergangsfristen umzusetzen sind. Dabei gewähren die Richtlinien den Mitgliedstaaten in einigen Punkten die Möglichkeit „innerhalb eines bestimmten Rahmens“ von den Vorgaben abzuweichen. Dies ermöglicht den Mitgliedstaaten z.B. länderspezifische Besonderheiten einzubringen. Nach Ablauf der Übergangsfrist wird die Umsetzung der Richtlinien in nationales Gesetz überprüft/ kontrolliert. Erfolgte die Umsetzung nicht oder wurde von den Richtlinien unzulässig abgewichen, so wird (ggfls. nach einer weiteren „Nachbesserungszeit“) ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleitet. Der Europäische Gerichtshof kann dann eine Strafe verhängen.

 

Jetzt die wichtige Kernaussage: Deutschland ist noch nie zu einer Strafzahlung verurteilt worden. Na das ist doch schon mal was! Dafür kommt aber jetzt die akribische Kleinarbeit dran. Wie sieht die Richtlinie bzgl. der Führerscheinregelungen aus und bewegt Deutschland sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens? Um dies zu überprüfen, müssen wir uns die Richtlinien anschauen. Hierfür gab er mir ein Papier mit und zeigte mir einige Stellen im Internet, wo ich auf wertvolle Hinweise stoße.

 

Uuups – jetzt könnte manch einer denken, dass da jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht habe. Aber wartet ab! Beim Sichten der vielfältigen Unterlagen kann ebenfalls der Eindruck entstehen, dass Europa in einer Regelungswut erstickt. Dieser Eindruck ist bei mir noch nicht geschwunden – aber es wächst die Einsicht, dass Regelungen zur Vereinheitlichung eines Miteinanders geschaffen werden sollen. Nur – wie in jedem Bereich gibt es halt auch hier wieder schwarze Schafe, die es maßlos übertreiben.

 

Bzgl. der Führerscheinregelungen fing alles mit der RICHTLINIE DES RATES vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (91/439/EWG) an. (Stimmt zwar nicht wirklich – aber ich fang damit an.) Viel Spaß beim Lesen. Wer fertig ist, hat gemerkt, dass es zwischenzeitlich schon wieder zahlreiche Änderungen gegeben hat. Aber die oben genannte Richtlinie war ursächlich dafür, dass wir zwischendurch mal den rosa Lappen hatten. Das mühselige Zusammensuchen der Regelungen und die eigentümlich anmutende Begrifflichkeit in gesetzlichen Regelungen lässt jedes aufkommende Interesse an der Sache schnell wieder verblassen.

 

Aber ich wurde fündig:

 

MITTEILUNG DER KOMMISSION ZU AUSLEGUNGSFRAGEN ÜBER DEN FÜHRERSCHEIN IN

DER EG

(2002/C 77/03)

http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2002/c_077/c_07720020328de00050024.pdf

 

 

Ich war wohl nicht der Erste, der kurz vorm Verzweifeln war. Der Artikel (30 Seiten lang und zweispaltig in kleiner Schrift) stellt eine zusammenfassende Übersicht bis 2002 dar. Einige Highlights hab ich mal rausgesucht:

 

Seite 7:

Zusatzkriterien für Unterklasse A1 —Artikel 3 Absatz 5

Gemäß Artikel 3 Absatz 5 können die Mitgliedstaaten für die Unterklasse A1 ergänzende einschränkende Normen zur Auflage machen. Folgende zwei Mitgliedstaaten haben ergänzende Einschränkungen zur Auflage gemacht:

Deutschland: Fahrer unter 18 Jahren sind nicht berechtigt, Krafträder mit einer Höchstgeschwindigkeit über 80 km/h zu führen. (Artikel 5 § 28 Fahrerlaubnisverordnung vom 18.8.1998);

Spanien: Das Verhältnis von Leistung/Gewicht von Krafträdern der Unterklasse A1 darf 0,11 kW/kg nicht überschreiten. (Artikel 5 Absatz 1 Real Decreto 772/97).

Kein anderer Mitgliedstaat hat ergänzende Kriterien für die Unterklasse A1 zur Auflage gemacht.

 

Heureka – da isses – das per Gesetz verordnete Dummheits-Gen für deutsche Jugendliche. Warum machen deutsche Bundestagsabgeordnete so was? Das kann nicht nur die Lobbyarbeit von Fahrlehrern sein – was hätten die davon (Fahrlehrer bitte nicht meckern – ich halte gerade zu Euch). Ist das eine besondere Form arbeitsmarkt- oder wirtschaftspolitischer Förderung? Na ja – ich gebe Euch die Antwort nicht – sie würde bestimmt den Straftatbestand der Beleidigung erfüllen.

 

Führen eines Fahrzeugs der Klasse A1 mit einem Führerschein der Klasse B —Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b)

Die Mitgliedstaaten können das Führen von Leichtkrafträdern (die nicht zur Unterklasse A1 gehören) ausschließlich auf ihrem Hoheitsgebiet mit einem Führerschein der Klasse B gestatten. Dieses Recht muss jedoch von anderen Mitgliedstaaten nicht anerkannt werden. Der folgende Überblick bezieht sich auf die Mitgliedstaaten, die das vorstehend genannte Recht eingeführt haben, und beschreibt die Zusatzanforderungen.

Belgien: zweijährige Fahrpraxis mit dem Führerschein der Klasse B;

Spanien: zweijährige Fahrpraxis mit dem Führerschein der Klasse B und eine theoretische Prüfung;

Frankreich: zweijährige Fahrpraxis mit dem Führerschein der Klasse B. Eine freiwillige sechsstündige Ausbildung wird gegenwärtig in Betracht gezogen. Diese Ausbildung könnte in Zukunft verbindlich vorgeschrieben werden;

Italien: Einführung ohne Zusatzanforderungen;

Österreich: fünfjährige Fahrpraxis mit dem Führerschein der Klasse B und verbindlich vorgeschriebene sechsstündige praktische Fahrausbildung.

 

Was verbirgt sich denn dahinter? Das betrifft die nationale Regelung, ob jemand mit dem Autoführerschein auch ein Leichtkraftrad (125er) fahren darf. In Deutschland wurde das Recht nicht eingeführt. Es dürfen nur Personen, die vor dem 01.04.1980 ihre Fahrerlaubnis (damals Klasse 3) erworben haben, ein Leichtkraftrad (ungedrosselt) fahren. Wer den Führerschein zu spät gemacht hat, ist zu blöd. (Mensch, das ist ja identisch mit dem Ergebnis der Pisa Studie) Unter dem fadenscheinigen Aspekt der fehlenden Sicherheit darf es nicht sein, dass in Deutschland jemand ein Leichtkraftrad fährt, der keinen teuren Führerschein erworben hat. Ob dem tatsächlich so ist, kann ich nicht sagen. Aber welcher Schwachsinn sorgt dafür, dass eine gesetzliche Regelung in Kraft gesetzt wird, die sogar gegen arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Argumente spricht. Die gesamte Zweiradindustrie klagt über diesen Umstand. Und das dadurch Arbeitsplätze verloren gehen, leuchtet jedem ein.

 

Seite 8:

Direkter Zugang zu schweren Krafträdern —Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b)

Der vorstehend genannte Artikel bestimmt, dass die Mitgliedstaaten auf die Voraussetzung einer zweijährigen Fahrpraxis mit Krafträdern, die beide Merkmale unter diesen Werten aufweisen, mit einem Führerschein der Klasse A verzichten können, wenn der Bewerber für einen Führerschein der Klasse A mindestens das 21. Lebensjahr vollendet hat („direkter Zugang“ (12)).

In folgenden Mitgliedstaaten ist der direkte Zugang zu schweren Krafträdern ab der Vollendung des 21. Lebensjahres nicht vorgesehen:

Deutschland: direkter Zugang nicht möglich vor Vollendung des 25. Lebensjahres;

Irland: direkter Zugang nie möglich, zweijährige Fahrpraxis stets erforderlich;

Spanien: direkter Zugang nie möglich, zweijährige Fahrpraxis stets erforderlich.

Alle übrigen Mitgliedstaaten gestatten den Zugang zu schweren Krafträdern für Bewerber, die das 21. Lebensjahr vollendet haben.

 

Das ist wieder das pure Deutsche Dummheits-Gen. Per Gesetz verordnet von den Politikern! Der deutsche Jugendliche hinkt dem nichtdeutschen Europäer geistig soweit hinterher, dass er die Reife eines 21 jährigen nichtdeutschen Europäers erst mit 25 Jahren erreicht. Der Nutzen erschließt sich einem wirklich nicht sofort. Und Sicherheit ist hier nur ein fadenscheinig angeführtes Argument. (Hier sind aus meiner Sicht die Fahrlehrer ebenfalls wieder unschuldig.)

 

Niedrigere Altersgrenze für das Führen eines Fahrzeugs der Klasse B —Artikel 6 Absatz 2

Gemäß Artikel 6 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten von den für die Klassen A, B und B+E festgelegten Mindestaltersanforderungen (18 Jahre) abweichen und für diese Klassen Führerscheine ab Vollendung des 17. Lebensjahres ausstellen.

In folgenden Mitgliedstaaten liegt das Mindestalter unter 18 Jahren:

Deutschland: 17 Jahre im Rahmen einer Berufsausbildung für die Klassen C und D;

Irland: 17 Jahre; keine zusätzlichen Anforderungen;

Österreich: 17 Jahre im Rahmen der „Vorgezogenen Lenkberechtigung“ (Führen eines Fahrzeugs in Begleitung);

Vereinigtes Königreich: 17 Jahre; keine zusätzlichen Anforderungen.

In allen übrigen Mitgliedstaaten liegt die Altersgrenze bei 18 Jahren.

 

Na – das ist Gott sei Dank endlich überholt. Wenn ich mein 17 jähriges Kind in vielen Fällen irgendwo hinbringe, erachte ich es für richtig, diese Fahrt durch den 17 jährigen Jugendlichen selber vornehmen zu lassen, da der Jugendliche dann schon „kontrollierte“ Fahrpraxis bekommt.

 

Anerkennung von Führerscheinen der Klasse B, deren Inhaber das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet haben —Artikel 6 Absatz 3

Die Mitgliedstaaten können es ablehnen, die Gültigkeit eines gemäß Artikel 6 Absatz 2 ausgestellten Führerscheins in ihrem Hoheitsgebiet anzuerkennen.

Deutschland, Österreich, Irland und das Vereinigte Königreich erkennen gemäß Artikel 6 Absätze 2 und 3 ausgestellte Führerscheine an.

Dänemark und Luxemburg erkennen diese Führerscheine bei Touristen, aber nicht bei Fahrzeugführern an, die ihren Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründen.

Alle übrigen Mitgliedstaaten erkennen Führerscheine der Klasse B, deren Inhaber das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht an und gestatten ihnen daher nicht, vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres in ihrem Hoheitsgebiet ein Fahrzeug zu führen.

 

Na Gott sei Dank ist dies ebenfalls überholt – denn es ist inkonsequent!

 

Heureka – das war fast ein halber Tag Recherche- aber es hat sich gelohnt. Was dabei rausgekommen ist? Auch die Abgeordneten des Bundestages haben dringenden Nachholbedarf. Warum wird ein Spielraum nicht sinnvoll für den Bürger, für die Schaffung von Arbeitsplätzen etc. genutzt? Den obigen Einschränkungen ist leider nur zu entnehmen, dass die Politiker den bundesdeutschen Bürger nicht für mündig halten- wie eine übervorsichtige Mutter – eine Glucke eben. Und das zum Nachteil der Deutschen Wirtschaft.

Traurig – aber wahr!

 

KD